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Mais ist (...) die Haupt- und meist einzige Nahrung der Huicholes. Er
wird vorwiegend in Form von Tortillas gegessen. Nur selten gibt es
"frijoles" (Bohnen), in der Regenzeit, wenn die Kühe mehr
Milch geben, auch mal salzigen Käse dazu. Die Milch selbst wird von
den Indianern nicht getrunken. Fleisch gibt es nur während der
Fiestas. Die Viehzucht dient in der Hauptsache der Aufzucht von
Opfertieren und wird nur von wenigen betrieben.
Die Huicholes sind Maisbauern, oder besser gesagt, MaisAnbauer. Denn
Handel wird mit dem Mais nicht getrieben. Das Ackerland ist knapp, und
gesät wird nur soviel, dass der Ertrag für den Eigenbedarf bis
zur nächsten Ernte reicht. Bei schlechten Wetterverhältnissen
sind Hungersnöte daher keine Seltenheit. Ist der Vorrat vorzeitig
erschöpft, treibt der Hunger viele Huicholes in die Städte, wo
sie ihre Handarbeiten und Dienste für Pfennigbeträge
verkaufen. Doch zu Beginn der Regenzeit kehren alle zurück. Die
Saat des Mais vereint sie wieder und die Arbeit mit der Erde macht sie
alle gleich. Sie löst die politische und geistige Hierarchie, in
der die Huicholes Gemeinde, Göttern und Gesetzen dienen, auf. Alle,
Mara'akate, Gobernadores, Beamte und Kinder nehmen mit ihren Familien am
Maisanbau teil.
Wann und wo die, wie man annimmt, ursprünglich nomadischen
Jäger mit Mais und Ackerbau in Berührung kamen, weiss man
nicht. Fest steht jedoch, dass Mais für die Huicholes mehr ist, als
nur gegenwärtige Lebensgrundlage. In ihren Mythen und der Religion
nimmt Mais eine ebenso zentrale Rolle ein, wie Rothirsch und Peyote. Er
ist Teil der mystischen Einheit, die Peyote, Mais und Rotwild bilden.
"Sie sind eins, sie sind wir, unser Leben" sagen die
Huicholes.
Es ist eine Einheit, die das Leben der Huichol-Indianer bestimmt. Eine
Einheit allerdings, in der Mais die geheimnisvollste und unvertrauteste
Stelle einnimmt. Im Gegensatz zu der liebevollen, vertrauten, ja
zärtlichen Einstellung der Huicholes zu Peyote und Rothirsch,
begegnen sie dem Mais mit grossem Respekt. Dieses Verhalten schlägt
sich sowohl in der Handhabung von Mais wie auch in der geistigen Haltung
ihm gegenüber nieder. Ihrem Glauben nach ebenso unergründbar
wie unersetzlich, wird Mais in Zeremonien und Riten, aber auch beim
Anbau und Ernten mit grösster Achtung und Aufmerksamkeit behandelt.
Denn ihr Leben hängt nicht allein vom Mais, sondern auch vom
Wohlwollen seiner Geister ab. Und diese sind launisch, so empfindlich
wie anspruchsvoll. Jede der fünf Maissorten besitzt einen
besonderen Geist, der durch die fünf Maisfarben Weiss, Blau, Rot,
Gelb und Schwarz symbolisiert wird. Da also jeder dieser Geister einen
speziellen Charakter hat, wird der Mais peinlich genau nach den Farben
sortiert, bevor er - hauptsächlich zu Tortillas - verarbeitet wird.
Mehrmals am Tag sieht man die Frauen die gekochten Körner mit
"metate" und "mano" (Trog und Handstein) mahlen und
auf runden Blechen (comal) über dem offenen Feuer zu tellergrossen
Fladen rösten. Ein Huichol verspeist bis zu dreissig Tortillas am
Tag. Auch die süss oder sauer zubereitete Atole (ein schleimiger
Brei) wird aus Mais gemacht. Für Feste und zeremonielle Mahlzeiten
werden Unmengen von "tejuino" (Maisbier) gebraut und
Körbe voll kleiner, dicker Tortillas und "tamales" aus
Mais bereitet. Tamales sind Röllchen aus salzlosem Maisteig, die,
kunstvoll in Maisblätter gebunden, in heissem Wasser gegart werden.
"Mais ist unser Leben", sagen die Huicholes und meinen das
wörtlich. Er ist ein göttliches Geschenk, das ihnen jederzeit
wieder genommen werden kann, wenn es nicht mit äusserster Vorsicht
und grösster Achtsamkeit behandelt wird. Ihr Leben ist von seiner
Existenz so abhängig, wie seine Existenz von der Behandlung, die
sie ihm zukommen lassen. Seine Aufzucht bedarf der gleichen
behütenden Aufmerksamkeit und Fürsorge wie das Leben ihrer
Kinder, deren zartes Wesen mit den grünen Ähren des Mais verglichen
wird. Wie der Mais sind auch sie Grundlage für den Fortbestand der
Huicholes. Wie unsicher diese Basis ist (hohe Kindersterblichkeit und
unvorhersehbare, oft katastrophale Wetterbedingungen für die
Maisernte), lässt sich schon daran erkennen, wie rapide die Zahl
der ursprünglich angeblich 20'000 Huichol-Indianer sinkt.
Heute (red.: 1985) gibt es, verteilt über die Staaten Nayarit,
Jalisco, Durango und Zacatecas, nur noch rund 9'000 Huicholes. Die
meisten von ihnen leben in der "Sierra de los Huicholes".
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