ANHALONIUM Ferme Bio Eco
Projekt zur Erhaltung und Entwicklung von Maisvarietäten im biologischen Landbau
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Anmerkungen zur deutschen Übersetzung und Stellungsnahme
zum 'offenen GVO-Brief an fortschrittliche Bauern' von Berlan/Kokopelli 2006

Von Martin Häfeli, ANHALONIUM Ferme Bio Eco

Wir danken Jean-Pierre Berlan und der Association Kokopelli für die Übersetzungs- und Publikationsrechte des "offenen Briefes an fortschrittliche Bauern, welche sich vorbereiten gentechnisch veränderten Mais zu säen" und für ihr Engagement für die bedrohte Kulturpflanze Mais.
Auflage der französischen Originalversion v. Jean-Pierre Berlan (INRA): Association Kokopelli
Deutsche Übersetzung von Martin Häfeli, Anhalonium
Der Autor, des "offenen GVO-Briefes an fortschrittliche Bauern", Dr. Jean-Pierre Berlan (jpe.berlan@wanadoo.fr), zeichnet als Directeur INRA.

Er ist Autor des Vorworts von "Semences de Kokopelli", 5. Auflage, 2005 unter dem Titel "Brève histoire de la séléction: des origines aux biotechnologies", er gibt Vorträge und hält Seminarien über die Saatgutproblematik in Frankreich.

Seine Doktorarbeit reichte er an der Université d'Aix-Marseille II ein: Thèse d'Etat: "Recherches sur l'économie politique d'un changement technique: les mythes du maïs hybride", 1987, 734 Seiten.
 
Kokopelli Seed Fundation
Die Association Kokopelli, ist ein dissidenter Verein der sich für "die Befreiung von Saat und Humus" engagiert.

Die Association Kokopelli veröffentlichte den "offenen Brief" von Dr. Jean-Pierre Berlan erstmals am 17. Mai 2006.

Mit der Übersetzung und Auflage der deutschen Fassung des "offenen Briefes" unterstützen wir den Anti-GVO-Aufruf der Association Kokopelli und von Dr. Jean-Pierre Berlan.
Wenn auch einzelne Details nicht unserer Meinung entsprechen (siehe detaillierte fachliche Anhalonium-Stellungsnahme weiter unten), so stimmen wir der Grundaussage des Aufrufs zu:

Gen-Technik bringt viele Nachteile für die Landwirte
und es gibt weder Rückkehr noch Wiedergutmachung,
sondern nur die Landwirte in einer Verlierer-Spirale.


Stellungsnahme zum 'zum "offenen Brief an fortschrittliche Bauern" von Dr. J.-P. Berlan und Kokopelli, vom 17.5.2006' von Berlan/Kokopelli

31.7.2006, Martin Häfeli, ANHALONIUM Ferme Bio Eco, France

Von den drei im Text erwähnten Methoden der Saatgutherstellung möchten wir ausdrücklich die dritte hervorheben und damit den Anbau von traditionellen Mais-Varietäten vor der Hybridenzüchtung favorisieren, da sie als einzige die genetische Basisbreite beim Mais nicht weiter ausbeutet, sondern gewährleistet und fördert!

Bei Wieder-in-Kultur-Nahme von sog. alten Landsorten verzichtet man zudem nicht völlig auf "Heterosis"-Erscheinungen, welche sich auch in Populationen einstellen.
"Population" nennt man eine (lokale) Anzahl Pflanzen einer Varietät, hier Mais. Eine Population umfasst den gesamten Anbauzyklus. Den Begriff "Varietät" könnte man auch mit "Sorte" ersetzen, wenn dieser nicht in den letzten Jahren so stark eingeschränkt worden wäre; siehe auch Klassifizierung der Maispflanzen.

Wie diese "natürlichen Hybriden" (Heterosis) zustande kommen, kann bei offen blühenden Maispflanzen nicht festgestellt werden. Diese sogenannte "natürliche Hybridisierung" kann entstehen, wenn nach Jahren zufälliger Selbstbefruchtung in einer Population plötzlich eine Kreuzung mit einer anderen Pflanze (derselben, oder einer anderen Population) erfolgt, worauf sich in der nächsten Generation hybrider Geilwuchs einstellt.
Wir gehen also davon aus, dass beim Mais Selbstbefruchtung (Bestäubung einer weiblichen Blüte mit Pollen derselben Pflanze) die Regel und Fremdbefruchtung (Bestäubung einer Maispflanze mit Pollen einer anderen Pflanze derselben, oder einer Nachbar-Population) die Ausnahme ist. Wir können demnach Mais nicht als "Fremdbefruchter" bezeichnen.

Einige Beobachtungen sollen diese Annahme stützen. Idealerweise und in gut angepassten Varietäten blühen die weiblichen und die männlichen Blüten gleichzeitig; das heisst, wenn der erste Pollen am Zentralast der Spindel bereitsteht, erscheinen auch die ersten Seiden. Ein leichter zeitlicher Unterschied im Erscheinen der männlichen und weiblichen Blüten begünstigt Fremdbefruchtung, ein grosser Unterschied bewirkt teilweise Unfruchtbarkeit. Bei unangepassten Varietäten happert es oft mit der Koordination der Blüten, weibliche Blüten erscheinen oft viel zu spät, oder gar nicht und der kostbare Pollen fällt unnütz zu Boden.
Der eigene Pollen ist der Maispflanze also am nächsten; die Wahrscheinlichkeit, dass er auf die weibliche Blüte derselben Pflanze fällt ist am grössten. Zwar kann der Wind den Pollen kilometerweit tragen, er wird aber vor allem während windstillen Sommernächten bereitgestellt und der grösste Teil fällt beim ersten Einsetzen eines Tagwindes aus. Nie kann man an windigen Sommertagen mittags oder nachmittags ein stäubendes Maisfeld beobachten, wie etwa bei einem blühenden Roggenfeld. Maispollen fällt aber auch schon bei winzigen Erschütterungen der Pflanze - zum Beispiel, wenn etwa pollensammelnde Bienen die Spindeln besuchen. Dabei lösen sich viel mehr Pollenkörner ab, als vom Insekt eingesammelt werden kann. Die Pollenkörner fallen dann fast senkrecht ab, wenn noch kein Tagwind bläst. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit einer Selbstbestäubung gross, da die ersten auf die (eigene) Seide gefallenen Pollenkörner einen Vorsprung auf ihrer Wanderung durch die Seidenschläuche Richtung Fruchtknoten erhalten. (Bei Kulturen an Hanglagen mit nächtlichen Talwinden ist diese Erscheinung weniger ausgeprägt.) Die Wahrscheinlichkeit der Selbstbefruchtung beim Mais ist umso grösser, je näher sich die weiblichen und männlichen Blüten stehen. Bei einigen, gedrungen wachsenden Varietäten kann man sich beim Anblick der blühenden Pflanze mit den üppig eingestäubten weiblichen Blüten und Blättern Fremdbestäubungen nur schwer vorstellen. - Aber auch bei grossen, ursprünglichen Varietäten, bei denen die "katastrophale sexuelle Mutation" (Iltis, 1981) noch nicht vollständig vollzogen ist und an der Spitze des weiblichen Blütenstandes sich oft auch noch einige männliche Blüten entwickeln, besteht eine Disposition zur Selbstbestäubung. Inzucht bei einer hochentwickelten Kulturpflanze, wie dem Mais ist demnach ein üblicher Vorgang und äussert sich nicht gleich in Missbildungen, wie sie bei hochentwickelten Säugetieren vorkommen.

Diese Inzucht-Theorie dürfte auch für höhere Säuger, sehr umstritten sein. Unseres Wissens gehen neuere Modelle davon aus, dass Inzucht die genetischen Defekte offenlegen kann, diese aber nicht verursacht. Hingegen geht jede Fixierung der genetischen Anlagen und somit der Pflanzeneigenschaften, im Sinne einer reinerbigen Sorte, unbedingt mit einer (zunehmenden) genetischen Verarmung einher, d.h. die Pflanze wird einheitlicher und verliert an genetischer Diversität.

Man müsste die Inzucht beim Mais als "zweihäusige Pflanze A x zweihäusige Pflanze A", "zweihäusige Pflanze B x zweihäusige Pflanze B" usw. beschreiben, was ja noch eine ausgeprägtere Form von Inzucht darstellt, als es bei Säugetieren überhaupt möglich ist. Die Nachkommen einer selbstbefruchteten Maispflanze sind keine Kopien der Mutter/Vaterpflanze, da sich bei jeder Befruchtung die Gene neu aufmischen. Erst fortgesetzte (erzwungene) Selbstbefruchtungen bewirken, dass die Nachkommen der Elternpflanze sich in ihrem genetischen Bauplan immer mehr gleichen, bis schliesslich Klone entstehen. Nicht umsonst braucht der Maissaatgutzüchter sechs Jahre oder mehr, um "reine Inzuchtlinien" herzustellen.

In Bezug auf ihre Fortpflanzung hinkt also der Vergleich einer hochentwickelten Maispflanze mit einem ebenfalls hochentwickelten Säugetier.

Und doch, wenn uns die "Erleuchtung der Genetik" etwas lehren sollte, dann dies, dass alle Lebewesen der Erde viel näher miteinander verwandt sind, als früher angenommen. Tatsächlich ist die hochentwickelte Maispflanze mit dem hochentwickelten Säugetier Mensch näher verwandt, als zum Beispiel die Bakterien E. coli mit Bacillus subtilis (Tom Wilkie, Gefährliches Wissen - Sind wir der Gentechnik gewachsen, 1996). Ein Vergleich Mais - Säugetier ist also dennoch denkbar; da es sich bei Mais aber um eine Kulturpflanze handelt, wäre der Vergleich Mais - Haustier (welche oft auch Säugetiere sind) treffender: Beiden ist es an einem Ort am wohlsten, wo sie gehegt, gepflegt und geliebt werden.

Da also, wie oben schon erwähnt, einzelne Maispollen vom Wind mehrere Kilometer weit verfrachtet werden können, besteht die Gefahr von unerwünschten Fremdbefruchtungen, dem sogenannten "horizontalen Gentransfer". Gelangt nun Pollen von gentechnisch verändertem Mais in eine Population, kann sich der Anteil von GVO's in der kontaminierten Population un- oder zuspätbemerkt, lawinenartig vergrössern. Allen gut gemeinten Grenzwerten zum Trotz, niemand kann heute Gentechfreiheit bei offen blühendem Mais garantieren, auch wenn uns dies, aus merkantilen Gründen, immer wieder vorgeschwindelt wird. Im Vergleich dazu sind unerwünschte Fremdbestäubungen mit konventionellen hybriden Mais Bagatellen, auch wenn sie, falls unbemerkt erfolgt, den Charakter einer Population zerstören können.

Saatgutkataloge führen gewaltige Distanzen zwischen einigen hundert Metern bis einigen Kilometern an, innerhalb deren kein anderer Mais gleichzeitig blühen sollte, wenn aus einer Population Saatgut geerntet werden möchte. Der Maisdiversität schaden aber solche Angaben, man wittert auch hier die merkantilen Absichten, auch von biologisch wirtschaftenden (alternativen) Saatguthändlern. Dank der oben beschriebenen Disposition des Mais zur Selbstbestäubung/-befruchtung und dank einer sorgfältigen Selektion des Saatgutes, wie von Jean-Pierre Berlan beschrieben (siehe auch Anhalonium Homepage, culture) ist es jedoch möglich, den Charakter von vielen Varietäten auf engstem Raum und offen blühenden Pflanzen zu erhalten oder gar zu verbessern.

Copyright © 28. Oktober 2005 , www.anhalonium.com